In seiner Schrift wandte er die pädagogischen Grundsätze,
die bereits von anderen, namentlich von Montaigne und Locke,
aufgestellt waren, zum ersten Mal auf die Erziehung der Mädchen
an, und es wurde ihm die Freude zu teil, den grössten Teil
dieser Grundsätze in der Praxis angewendet zu sehen, und zwar
in einer staatlichen Unterrichtsanstalt, dem berühmten, im Jahre
1686 von Madame de Maintenon gegründeten Institute St. Cyr
bei Paris.
Fenelon nahm an der Errichtung dieser Unterrichts- und
Erziehungsanstalt lebhaften Anteil; er schrieb in den ersten
Jahren viel für dieselbe und arbeitete für Lehrende und Lernende
mancherlei Instruktionen aus. Namentlich dem Grundsatz Fenelons,
dass man die Mädchen erziehen müsse entsprechend ihrem Stand,
dem Wohnort, der ihnen voraussichtlich einst bestimmt sei, der
Beschäftigung, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach einst zu er-
greifen haben, suchte Madame de Maintenon mit allem Eifer zu
entsprechen. Veberhaupt schätzte sie die pädagogischen Grund-
säütze, die Fenelon in seiner Schrift über die Erziehung der
Mädchen dargelegt hatte, sehr hoch und liess sich auch später
noch von ihnen leiten, nachdem sie sich schon von Fenelon ge-
trennt hatte.
Es lassen sich zu den Lebzeiten von Madame de Maintenon
in St. Cyr deutlich drei Perioden unterscheiden. Die erste
Periode war jene glänzende Zeit, in der die Erziehung der
Zöglinge von St. Cyr vorzugsweise auf die Entwicklung des Ge-
schmacks für Litteratur und Poesie gerichtet war, die Zeit, in
der Racine ganz besonders für diese Zöglinge „Esther“ und
„Athalie“ schrieb, die von ihnen mit üppiger Ausstattung in An-
wesenheit des Königs aufgeführt wurden. Als aber Madame de
Maintenon erkannt hatte, wie zerstreuend diese Aufführungen
und die vielen Besuche auf die Zöglinge einwirkten, folgte die
zweite Periode, in der das Augenmerk vorzugsweise auf eine
solide, praktische Bildung gerichtet war. Als aber der König alt
und den weltlichen Vergnügungen abgeneigt war, verwandelte
sich vom Jahr 1707 an St. Cyr immer mehr in ein Kloster, in
welchem alle Lehrerinnen und Erzieherinnen Nonnen waren, und
aus dem nur wenige von den Zöglingen in ihre Familien zurück-
kehrten oder in den Ehestand traten; die meisten wurden Kloster-
frauen.
In diesem Zustand sah Peter der Grosse die Anstalt, als
er im Jahre 1717, also zwei Jahre nach dem Tode Ludwigs XIV.