Full text: Das Königliche Katharinenstift zu Stuttgart

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Die denkwuürdigen Worte der Königin Katharina schmücken 
in ihren klaren kräftigen Schriftzügen das Direktionszimmer des 
Katharinenstifts und werden bei jedem Jahresfest der Anstalt 
stehend angehört. Ein sehr gelungener photo-lithographischer 
Abdruck derselben ist der Denkschrift zu der fünfzigjährigen 
Jubelfeier des Katharinenstifts beigegeben. 
(Die Königin schreibt in dem obengenannten Entwurf ihrer 
Ansprache gedeigen statt gedeihen und kennzeichnet sich dadurch 
als Russin: die Russen haben für g und h dasselbe Schriftzeichen 
und verwechseln die beiden Laute auch in der Aussprache gar 
häufig.) 
Am Tage nach der Einweihung wurden sieben Klassen ge- 
ordnet und die Schülerinnen eingeteilt. Am dritten Tage erschien 
die Königin mit ihrem Schwager, dem KErbgrossherzog August 
von Oldenburg, und freute sich, schon alles ganz geordnet zu 
finden. Die Probelektionen vor dem hohen Besuche gingen vor- 
trefflich, und der Erbgrossherzog konnte schon von der jungen 
Anstalt einen guten Eindruck hinwegnehmen. 
Von nun an waren die Besuche der Königin häufig; fast 
jeden Tag rollte der Wagen heran. Die Königin durchging jedes- 
mal alle Klassen, trat in jede geräuschlos ein und fragte den 
Rektor über alles, was sie gewahrte. Bald kannte sie die meisten 
Schülerinnen und bekümmerte sich angelegentlich um den Fleiss 
und die Fortschritte derselben. 
Zwei Monate nach der Eröffnung der Anstalt erhielt die 
Königin den längst erwarteten Besuch ihrer Mutter, der Kaiserin 
Maria Feodorowna von Russland, die als Tochter des Herzogs 
Friedrich Eugen von Württemberg und als Schwester des zwei 
Jahre zuvor verstorbenen Königs Friedrich das Württemberger 
Land als ihre alte Heimat betrachtete; sie hatte es aber seit dem 
Jahre 1782, als sie mit ihrem Gemahl, dem damaligen Gross- 
fürsten Paul von Russland, die denkwürdige Reise durch Europa 
machte, nicht mehr besucht. Der Rektor und die Angehörigen 
der Anstalt wussten, wie hoch die Königin ihre Mutter hielt, und 
wie viel ihr daran lag, ihr Freude zu machen, und dass nament- 
lich der neuen Anstalt, welche die Königin mit besonderer Rück- 
sicht auf ihre Mutter gegründet hatte, die selbst die Stifterin 
und Pflegerin so bedeutender Anstalten dieser Art war, die be- 
sondere Aufgabe zufiel, in gutem Lichte zu erscheinen. Die 
Königin legte es dem Rektor auch sehr ans Herz, ordnete an, 
was geschehen sollte und sagte: „Wenn meine Mutter Kommt,
	        

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