Full text: Das Königliche Katharinenstift zu Stuttgart

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so ist diese der einzige Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit und 
Rücksicht. Ich trete zurück und bin an diesem Tage nicht mehr 
als alle anderen. Sie halten die Anrede und gehen mit meiner 
Mutter umher, zeigen und erklären ihr alles; Fräulein v. Baer 
wird Sie begleiten.“ 
Alle Angestellten versammelten sich an der Treppe, der 
Elternausschuss an der Spitze der Spalierreihen. Rektor Zoller 
begrüsste den Eintritt Ihrer Majestät mit einer der hohen Person 
und der Sache angepassten Anrede, welche die Kaiserin aufmerk- 
sam entgegennahm und mit gewandter Fertigkeit, jedem Punkte 
folgend, beantwortete. „Ich komme,“ sagte sie unter anderem, 
„nach einer langen Reihe von Jahren wieder in mein Vaterland 
und freue mich, meine Tochter in einem neuen und so schönen 
Wirkungskreis zu finden. Ich bin glücklich, sie glücklich, ge- 
achtet, geliebt, mit dem Vertrauen so vieler belohnt, von solchen 
Männern und Frauen unterstützt zu sehen. Volles Wohlgefallen 
gewährt es mir in hohem Masse, dass ich überall, wohin ich trete, 
wahrnehmen darf, dass sie durch Wirken und Schaffen ihren 
Beruf zu erfüllen sucht. Ich werde mit Aufmerksamkeit sehen 
and hören, was Sie mir zeigen und erklären werden.“ 
Die Königin stellte die Versammelten ihrer Mutter mit ehr- 
erbietiger Freundlichkeit vor und trat dann zurück. Der Rektor 
zing der Kaiserin zur Seite, und da sie eine grosse und genaue 
Bekanntschaft mit Anstalten dieser Art zeigte und ihn über 
alle Gegenstände der Schule, die Zwecke, die Lehrmittel, die 
Stände, denen die Schülerinnen angehörten, voll Teilnahme und 
Interesse befragte, so hatte er reiche Gelegenheit zu Mitteilungen. 
Nur der enge Raum erschien der Kaiserin bedenklich, und mehr- 
mals rief sie aus: 'Trop serr6, trop serre! Sonst aber gefiel ihr 
alles, vorzüglich die Ordnung und der äussere Anstand, und sie 
sprach es wiederholt aus, dass ihr die Schöpfung ihrer Tochter 
sehr willkommen und angenehm sei. Die Königin, die, sehr acht- 
sam auf alles, zunächst hinter ihrer Mutter ging, warf nur von 
Zeit zu Zeit bei einzelnen Anlässen einige Worte dazwischen. 
Die Kaiserin wandte sich auch an einzelne von der Begleitung 
und Umgebung und schied unter freundlichen Aeusserungen ihres 
Beifalls und ihrer guten Wünsche. 
Es möge gestattet sein, hier in Kürze mitzuteilen, wie sich 
die Königin Olga Nikolajewna im Jahre 1889 bei einer aus An- 
jass der Herausgabe einer Lebensbeschreibung der Königin 
Katharina gewährten Audienz dem Verfasser gegenüber über
	        

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