30
ihre Tante, die Königin Katharina und ihre Grossmutter, die
Kaiserin Maria Feodorowna, geäussert hat. Sie sagte unter
anderem: „Ich finde es so genial, dass sich die Königin Katharina
so rasch in die württembergischen Verhältnisse hineingefunden
hat. Bei allem, was sie angeordnet hat, hat sie doch immer so
viele persönliche Freiheit gelassen. Bei aller festen Organisation
legte sie den meisten Wert auf persönliche Thätigkeit. Dies zeigt
sich besonders bei der Centralleitung des Wohlthätigkeitsvereins.
Wenn man die Akten durchsieht, so findet man eine Menge
treffender Bemerkungen von ihrer Hand. Kein Land hat eine
solche Anstalt, die Kaiserin Augusta beneidete uns darum.“ In
Bezug auf den Besuch der Kaiserin Maria Feodorowna sagte sie:
„Was das Katharinenstift anbelangt, so war die Kaiserin nicht
ganz einverstanden mit der Königin Katharina, Im Vergleich zu
den russischen Anstalten war ihr das Katharinenstift mit dem
offenen Zutritt für alle zu demokratisch. Aber bei aller Ver-
ehrung für ihre Mutter blieb die Königin auf ihrem Standpunkt,
dass in einer so kleinen Stadt wie Stuttgart für die Erziehung
aller Töchter gesorgt werden müsse.“
Wie die Kaiserin alle von ihrer Tochter gegründeten und
geleiteten Anstalten reich beschenkte, so übergab sie der Königin
auch für ihr geliebtes Erziehungs-Institut dreihundert Dukaten
zur Anschaffung von Lehrmitteln. Auch dem von der Königin
für das ganze Land gegründeten Wohlthätigkeitsverein mit seiner
Centralleitung in Stuttgart trat die Kaiserin am 26. August 1818
mit einem jährlichen Beitrag von 2000 Papierrubeln als Mitglied
bei, und es ist gewiss ein Beweis dafür, wie hoch in Russland
das Andenken der Kaiserin Maria Feodorowna gehalten wird,
dass diese Summe bis auf den heutigen Tag in vierteljährlichen
Raten ausbezahlt wird.
Wir haben oben gesehen, wie der Kaiserin die engen Raum-
verhältnisse auffielen; aber noch störender als diese war für die
Anstalt die gegenüberliegende Kaserne. Einem UVebelstande, dem
des Missbrauchs der Fenster, war auf Anordnung der Königin
durch einen leichten grünen Anstrich der unteren und mittleren
Fensterscheiben in den Unterrichts- und Pensionszimmern abge-
holfen worden; aber die Musikübungen in der Kaserne und das
lärmende Trommeln waren oft stunden- und tagelang sehr lästig.
Die Königin sah dies wohl ein; sie wollte selbst ein anderes
Lokal, aber man musste erst eines finden. Da kam sie einmal
in die Anstalt und war gerade in dem Zimmer, in dem Rektor