Soweit es sich darum handelt, den Ingenieurgeist und die Architektur unserer
Tage in einen lebendigen Zusammenhang zu bringen, wird die gemeinsame
Arbeit in der Hauptsache der offenen und genauen Feststellung der Grenzen
des Spielraumes in der Wahl der konstruktiven Mittel gelten müssen, jener
Grenzen, die von beiden Seiten meist aus Vorurteil abgelehnt oder aus Un-
kenntnis übersehen werden. Die Anerkennung des Spielraumes und seiner
Grenzen wird die neue Baugestaltung einerseits vor dem Schematismus der
Bautechnik, anderseits vor dem Mangel an organischer Wurzelhaftigkeit be-
wahren, die das Merkmal gesunder Bauepochen bildet.
Von solchen allgemeinen Gesichtspunkten ausgehend, soll hier im besonderen
für große Geschoßbauten in Eisenbeton die Gestaltung untersucht werden.
soweit sie von der Konstruktion bedingt ist. m
Der moderne Geschoßbau, und im Sonderfall das Hochhaus, ist in seiner
Bauweise hauptsächlich durch zwei neuzeitliche Zweckforderungen bedingt,
die beim Geschoßbau früherer Zeiten fehlten. Die gegebene Grundfläche soll
soweit als möglich zu nutzbarer Fläche verwendet werden. Die raumverzehren-
den Außen- und Innenwände sollen also so schwach wie möglich sein. Der ganze
Innenraum der Geschosse soll weitestgehende Freiheit in der Aufteilung und bei
wechselnden Bedürfnissen nachträgliche Abänderung dieser Aufteilung ge-
statten. Es sollen also keine Balken bzw. Decken tragenden Wände im Innern
vorhanden sein.
So hat sich eine Bauweise entwickelt, bei der die Aufgabe des Tragens einem
Skelett zugewiesen ist und die Außenmauern nur noch als Füllung oder Haut,
die Innenmauern nur noch als raumscheidende Wände zu dienen haben.
Die Durchführung dieses Gedankens ist sowohl mit einem Eisenbetonskelett
als auch mit einem reinen Eisenskelett möglich. Die praktischen Gründe, die
in jedem besonderen Falle für ein Skelett in Eisen oder ein solches in Eisen-
beton vorliegen können, sollen hier nicht aufgeführt werden. Von wesentlicher
Bedeutung für den Architekten ist die Tatsache, daß ein großer Geschoßbau
in Eisenbeton massive Bauglieder besitzt, die durch ihre natürliche Verwandt-
schaft mit dem Stein und durch ihre geschlossenen Querschnitte eine Möglich-
keit eigener unverhüllter Gestaltung des Ganzen bieten.
Der neuzeitliche und durchaus fruchtbare Gedanke, große Geschoßbauten
mit einem tragenden Eisenbetonskelett auszuführen, begegnet bei seiner Ge-
staltung einer Reihe konstruktiver Einzelfragen, deren Lösung erst seine organi-
sche Anwendung gestattet.
Wenn im folgenden verschiedene Möglichkeiten der Bauweise des Eisenbeton-
skelettes und die einzelnen Fragen der Gestaltung behandelt werden, so ge-
schieht es vom Standpunkt des Ingenieurs. Er will dem Architekten die Punkte
aufweisen, wo seine gestaltende Tätigkeit im Einklang mit der Konstruktions-
weise und ohne Widerspruch mit der Natur des Materials ansetzen kann. Es