nur dem künstlerischen Sinne greifbare Raumesordnung werden muß, wenn
solche menschliches Gemeinschaftsleben soll führen lassen und bergen können.
Und darauf kommt alles an. Also wären uns alte Stadtbilder eben doch künst-
(erisch offenbarende Weisung über das Bauen für eine Gemeinschaft. Wir dürfen
ja nicht außer acht lassen, daß in Siedlungen sich erst Gemeinschaft zu bilden
hat, nachdem der legte Bauhandwerker längst schon weiter gegangen ist.
Die alte Stadt aber wuchs aus der Gemeinschaft, diese mit ihr.
Es ist künstlerisch gesehen doch so, wie wenn aus einem alten Ortsbilde - Flug-
bilder zeigen das deutlich - uns eine musikalische Klangfigur anmutete - ein
Grundmotiv als Artklang dieses Raumes, in der Zeiten- und Geschlechterfolge
zur variierenden Klangfigur abgewandelt.
Phantasie kann durchaus hier dem ortseigenen Klange lauschen mögen - was
sie bestimmt nicht tut, wo intellektuell geplant worden ist.
Man sagt: wir hätten heute keine Zeit, etwas in seiner natürlichen Zeitentwick:
lung wachsen zu lassen. Das stimmt, begründet aber keineswegs ein Recht auf
den unkünstlerischen Schnellbau - weil auch heute und später ja Menschen und
nicht „Massen” (siehe Ludovici) da wohnen sollen. Man darf nicht vergessen,
daß wir in uns haben können und haben, um was die Vorgenerationen ge-
rungen haben. Wir tragen als Fähigkeit in' uns, was sie als Kraft der Gestalt-
bildung in sich erweckt haben. Und mit diesem Gedanken kommt man dem
nahe, was der Architekt sich doch oft als einsame Frage stellte, wenn er in der
Nachkriegszeit seinen Beruf überdachte: er fragte sich nach dem Intimsten und
Besten, das er zu geben willens war, das auch sein deutschestes Sehnen war und
ist - nach dem baukünstlerischen Einsag seines Berufes,
Technisches, Wirtschaftliches, Organisatorisches sind unerläßlich für jedes Bauen,
aber sie rühren nicht an den im tiefsten Grunde verantwortlichen „Beruf“, und
sie berühren auch niemals den Menschen, der so wo wohnen soll - weil man mit
Organisation, Technik und wirtschaftlicher Überlegung für Menschen nicht so
gleichgültig bauen kann wie für Waren. Die Disziplin auf diesen drei Gebieten ist
für den Architekten unerläßlich, aber sie ist nur Voraussetung, nicht schon Ziel.
Man wird durch die Aufgaben, die aus dem deutschen Werden heraus heute
gestellt sind und in Zukunft immer entschiedener gestellt sein werden, dahin
gedrängt, den eigentlichen Beruf des Architekten zu verlangen. Das Verlangen
stellt die deutsche Seele, und sie will das Menschlichste, was ein Baukünstler zu
geben hat: seine künstlerische Kraftentfaltung.
Die jungen Generationen, aus ursprünglich geweckten Erlebnissen deutschen
Menschentumes und deutschen Gemeinschaftswillens drängen zu neuen Forde-
-ungen, willentlich mehr als aus bewußter Vorschau dessen, was sie wollen. Sie
wollen in allem den deutschen Menschen, Gestaltwerdung aus den einzig-
artigen Tiefen dieses Menschen. Sie spüren die sozialste Grundkraflt, die da ist,
wenn ein Mensch Herzkraft um seines Werkes willen gibt, wenn also Bauten so
werden, daß ihnen eingestaltet ist, was einer geben kann, der aus der Schöpfer-
kraft seines Menschentumes gibt.
Nehmen wir nochmals im Flugbilde den Überblick über eine Stadt oder über ein
größeres Ansiedlungsgebiet, dann können wir eine Zeit- und eine Kulturgrenze
in diesem Reliefbilde finden:
Zeitlich ist es die Grenze, die etwa um die Mitte des 19.Jahrhunderts liegt - und
diese Grenze bezeichnet zugleich eine kulterelle Wende.
Was vor der Mitte des 19. Jahrhunderts als Baubestand vorliegt, zeigt sich im
Einzelnen und im Ganzen als Bild. Wir sehen einen Stadtkern, wir sehen
Dörfer, Straßenführungen usw., die zusammen mit der Landschaft ein harmoni-
sches Bild bieten.
Wir sehen das nach dieser Zeit Gebaute im Widerspruch unter sich und zum
Alten und zum Lande.
Mit dieser stets nachprüfbaren Erfahrung möge der Hinweis verbunden werden
auf das, was sie für die uns vorliegenden Aufgaben lehrt.
Fortsegung folgt
Ar 3 Stuttgart März 102”