Bauformen für die Praxis
«Die Welt der Formen im Wandel der Zeit
im Hinblick auf das Handmerk»
S. Fortfegung
In Zufammenhange der vorliegenden Ausführungen darf nicht außer acht bleiben, daß
Bauformen mie jede künftleriiche Formgebung nur dann empfindungsmäßig begriffen
merden können, wenn fe aus dem geiltigen Leben ihrer Zeit und ihrer Menkchen erfaßt
merden. Dies bringt es mit lich, daß z.B. am Rundbogen gezeigt mird, in welcher Art und
Weile der Grieche und dann der Römer fich mit der Erde und dem Göttlichen darüber
verbunden mußten, Es ifkt nicht zu umgehen, daß folche Grundtatfachen eines gefchicht=
lichen Zeitabfchnittes auf das Genauelte betrachtet merden. Denn wenn fich auch heute der
Geift= und Seeleninhalt der Menfchen vollftändig geändert hat, fo greifen wir dennoch auf
manche alte Formgebung und architektonifche Geltaltung zurück. Das follte aber nur ge=
[chehen, indem ein volles Verftändnis folcher Formen für die Bedingungen ihrer ge=
Rhichtlichen Entftehung vorhanden ilt.
Aus der Mannigfaltigkeit der Formen werden zu den verfchiedenen Zeiten und bei den
verfchiedenen Völkern immer mieder gewille Grundformen allgemeiner verwendet, Sie treten
an entfcheidenden Kulturbauten auf, fie mandeln ich ab und erfcheinen auch an einfachen
Zweckbauten, an Privathäufern uf. Dies ift Itets der Gang einer hiltorifchen Erfcheinung.
Es kann nun mit einiger Berechtigung gefagt merden, daß eine Darlegung über Gehalt
und Bedeutung des Rundbogens, mie ie hier verfucht wurde, fich in der Kunltgekchichte
nirgends findet. Selblt menn es [o märe, würde damit gegen die vorgebrachten Gedanken
nichts gefagt fein. Denn das Fehlen folcher Gedanken hat allmählich zu einer Verödung
des Kunftbetriebes und zu einem Verlieren des Formenmwillens geführt, mas befonders
auffällig wird, menn man lich mit Bauformen in hiftorifcher Hinlicht befchäftigen muß.
Man kann folche Gedanken auch von ganz anderer Seite aus betrachten und auf ihre
Richtigkeit hin prüfen. Das fei im Folgenden verlucht, mobei wir uns auf eine künftlerifche
Perfönlichkeit berufen, deren Geltung außer Frage Iteht. Man wird in Rembrandt nicht
nur einen der größten Maler anerkennen, fondern ihm auch die künftlerifiche Urfprünglich=
keit zufchreiben, die in überlegener Beherrfichung und Verwendung der Form zu fehen ilt.
Diele Feltftellung ift hier befonders wichtig, meil auf die urflprüngliche, künftlerikche Ge=
ftaltung der in Betracht zu ziehenden Bilder verroieflen werden foll. Ohne diefle Vorauss
jegung wäre der hier zu unternehmende Verluch von vornherein unmöglich. Mit ihr gibt
zr dagegen den Beweis, daß eine künftlerifche Bildgeftaltung ebenfo das Richtige melens=
mahr zu treffen vermag, wie dies einer gefchichtlichen Zeit aus ihren Seeleninhalten bezüg=
lich des Geltaltens von Formen gelingt.
Wir betrachten zunächft 2 Bilder Rembrandts, die den Titel „Der Philofoph” und „Der
hl. Analtafius“ tragen (Abb. 31 und 32). Aus den Abbildungen ift ohne weiteres zu
zrfehen, marum fie in den vorliegenden Zufammenhang hereingenommen merden. Die
nächlte Frage jedoch: warum Rembrandt dem einen Bilde die Bezeichnung: der Philoloph,
- und dem andern die Bezeichnung: der hl. Analtafius, - gab, läßt lich aus den Bildern
nicht (ogleich rechtfertigen. .
Betrachten wir das Bild des Philolophen, das Rembrandt in einem Jahre £ mal gemalt
hat, genau: