Jaß hier nichts in die Bilder hineingetragen wird, das nicht in ihnen rirklich liegt, zeigt
die nächfte Abbildung eines Rembrandtbildes, das er als „Der Gelehrte” betitelt. Ver=
zleichen wir den Gelehrten mit den beiden vorigen Bildern. Wir fehen kein Rund, kein
Fenfter. Wir fehen, mie Bücher, Tifch, Stoff, Wand einen dunklen Bildgrund vor den nach=
jenklichen, fleißigen Mann ftellen. Er fist fozufagen ganz im‘ Irdilchen, ohne irgendmelche
enfeitige, himmlifche Erhellung, daher kein Fenfter und keine Rundform im Raum. Der
Selehrte ift ein Mann, dem nur klar wird, was er fich an der Unterfuchung und Sichtung
jes ihm vorliegenden Stoffgebietes erarbeitet. Das ilt in Rembrandt’s Bild eindeutig
ausgedrückt.
Es gehört zum Auffchlußreichften, alle drei Bilder, die Männer der milfenfchaftlichen, ideellen
und göttlichen Erleuchtung darftellen, zu vergleichen.
Der Vergleich zeigt noch deutlicher als das Einzelbild, daß die Raumgeftaltung für Rem=
Srandt die künftlerifche Mlultration feiner drei verkchiedenen Themen war. Er nimmt hiezu
die räumlichen Mittel feiner Zeit und feines Volkes. Es kommt aber darauf an, wie er
ie für jedes einzelne Bild ausmählt. Diele Räume find für ihn nicht nur Dekoration des
3ildes, fondern fie follen Fagen: in folchen Raumformen kann feinem Werfen nach ein
>hilofoph leben, in folchen ein Gelehrter, uf. Und meil Rembrandt als Maler fich jeden
Zaum nach den Gefegßen fchaffen konnte, die ihm feine künftlerifche Phantafie eingab, [o
zönnen mir hieraus im Betrachten das lernen, mas die Bilder zu unferem Thema fagen:
Jie künftlerifche Bedeutung einer Form als Ausdruck einer menkchlichen Seelen= und Geiltes=
haltung. Und darauf kommt es an. Kunftformen rechtfertigen lich durch ihren Bezug auf
den Menkchen. Das ift zugleich ihre urlprüngliche und einzige Begründung gegenüber einer
materialiftiichen Handhabung der Form. Es handelt lich für den Deutfchen darum: aus der
Erkenntnis des Welens einer Form zu einem „Formgemillen” fich durchzuarbeiten, um In
die Kunft den Ausdruck der Wahrhaftigkeit hereinzubekommen. Das ift ein viel tieferer
und ehrlicherer Grund für die deutfche Kunlt, als das Herumraten auf der Ebene des Ge-
chmackes oder des geiltreichen Einfalls.
(Fortlegung folgt)
Abb. 33
Rembrandt: „Der Gelehrte”