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Schwarzwaldkreis. Oberamt Reutlingen.
altbezeugten Lesart Bolonia festzuhalten und wird derselbe in Boulogne sur mer
zu suchen fein, weil die Art des Meisters Heinrich eine durchaus nordsranzösische
gewesen ist und durchaus nicht mit dem Stil des damals schon hachheraufgebauten
Kölner Domes übereinstimmt. Es ist sicher, daß Peter Parler, der Sohn des
Meisters Heinrich, in Köln studiert hat in der dortigen Bauhütte, auch war seine
erste Frau eine Kölnerin; man kann aber auch an Peters Bauten den Einfluß des
Kölner Doms in die Augen springend nachweisen au den Chören zu Prag, Kolin,
Kuttenberg in Böhmen, besonders an ihrem Strebewerk, während an dem Bau des
Vaters in Gmünd dies durchaus verneint werden muß, ausgenommen vielleicht kleine
Teile, z. B. einige Baldachine an den Portalen; sie mögen von dem jungen Peter,
als er von Köln wieder nach Gmünd gekommen war und dort an der Heiligkreuz
kirche seines Vaters arbeitete, geschaffen worden sein. Von dort weg berief den
erst Dreiundzwanzigjährigen der für die französische Baukunst so sehr begeisterte, kunst
sinnige und großangelegte Kaiser Karl IV. nach Prag, um den durch den Tod des
ersten Dombaumeisters Matthias von Arras verwaisten Dombau weitersühreu zu lassen.
Heinrich, der Vater, der Meister der Gmünder Heiligkreuzkirche, weicht in der Grundriß
bildung, aber auch im Aufbau uud den Einzelformen, besonders auch im Fenster
maßwerk mächtig ab von der deutschen Gewöhnung, bringt auch den der französischen
Kunst so geläufigen außerordentlichen Figurenreichtum an seine Bauten; alles, wie
auch das Aussehen der Figuren echt nordfranzösisch. Sein Zeichen, ein h, ist in
Gmünd nachgewiesen. Dieses und seine Hand und seine Schule zeigt sich nun auch
noch an zwei anderen schwäbischen Bauten: am Turm der Kapellenkirche zu Rott
weil, und wieder, aber nur an der Schauseite, an der Marienkirche zu Reutlingen. Der
Kapellenturm zu Rottweil gehört zu den schönsten und merkwürdigsten Türmen der
gotischen Baukunst, und sucht besonders durch den Reichtum seiner Bildhauereien
weit und breit seinesgleichen, er übertrifft in dieser Hinsicht sogar den Turm des
kllmer Münsters. Seine drei unteren Geschosse stammen noch aus der Zeit der
Gründung und stehen dem Stile nach zwischen dem Turni der Marienkirche zu Reut
lingen und der Heiligkreuzkirche zu Gmünd. — Der nordfranzösische Meister hat die
Entwürfe der Reutlinger Fassade, die auf Straßburger Einflüsse zurückzuführen sind,
vorgefunden, auch wohl schon Teile des Aufbaues, er hat nur Einzelheiten daran fertig
gearbeitet, hat von den Reutlinger Eindrücken nach Rottweil getragen, und diese mit
seiner eigenen Richtung, die auf das Häufen des Figürlichen ging, verschmolzen. Bei
genauerer Vergleichung beider Turmfassaden erkennt man trotz vielem Ähnlichen doch
so manche Verschiedenheiten, wobei noch zu bemerken ist, daß sich die Straßburger
und die nordfranzösische Schule nahe berühren. Der Reutlinger Plan ist entschieden
der ältere, Richtung gebende, das Figurenwerk war nicht mehr hineinzubringen, da
gegen lassen einige Figuren, wie Wasserspeier und besonders jenes merkwürdige ganz
im Dunkel versteckte Relief im Spitzbogenfelde des Treppentürmchens mit den zwei
nackten, an antike Bacchanten erinnernden Figuren, dieselbe geniale Bildhauerhand,
wie an den so zahlreichen des Rottweiler Kapellenturms erkennen. Die Skulpturen
dieses Turms sind ein eigenes Studium wert, so frei und edel und anmutsvoll-treff
lich sind sie. Am Friedhofcingang in Reutlingen, dem Überbleibsel einer frühgotischen
Kapelle, sind an den Konsolen der geradgestürzten Thüre zwei Bildwerke ausgehauen,