Hochverehrte Versammlung!
Lassen Sie uns heute von dem ehemaligen Lust haus sprechen, einem der schönsten
Monumente der Früh-Renaissance, dessen Untergang in der That sehr zu beklagen ist und
dessen genauere Schilderung, wie ich sie auf Grund von Urkunden und Zeichnungen zu geben
versuche, Ihnen die reiche Schönheit, welche dem Styl jener Periode eigen war, lebendig zum
Bewusstsein bringen wird.
Ehe ich indess auf die Einzelschilderung des Bauwerks eingehe, gestatten Sie mir, Sie
kurz an die besonderen Bedingungen und Zeitverhältnisse zu erinnern, unter denen der Renais-
sance-Styl ins Leben getreten ist.
Der gothische oder germanische Baustyl war der Styl der Erhabenheit und entsprach
dem tiefreligiösen Geiste der Zeiten von 1250—1450. Wer von uns, der die Kirche von
Wimpfen im Thal, die Liebfrauenkirche in Esslingen, den Ulmer Münster, den Dom in Köln
gesehen, könnte diesen Zug der Andacht verkennen? Es war das Streben nach einem Höheren,
Ueberirdischen, dem der gothische Styl mit seinem vollendeten Pfeiler- und Gewölbebau den
wahren Ausdruck verlieh.
Die Buchdruckerkunst wurde erfunden, Amerika entdeckt, Luther begann seine Refor
mation, die Gelehrten reisten zu Land und See in alle Welt hinaus, Akademien entstanden,
gelehrte Gesellschaften, Bibliotheken wurden'gegründet. Kurz, dem menschlichen Geist wurde
sein Gehäuse zu enge und damit änderte sich auch der Baustyl.
Darum sehen wir im 16. Jahrhundert die Renaissance entstehen, gleichsam als Spiegel
einer wiedergeborenen Zeit. Sie ergriff von dieser Welt mit heiterem Selbstgefühl Besitz.
Diese Rückkehr zur harmonischen Ausbildung des eigenen Innern und zur Natur verlangte einen
anderen Ausdruck in der Formensprache. Bei den Griechen und Römern, bei welchen schon
einmal alle Anlagen des menschlichen Geistes ein frei in sich befriedigtes Dasein geschaffen
hatten, fand sie einen sicheren Führer. Nicht blos Poesie und Wissenschaft, auch die Architektur