Volltext: Bauplatz und Werkstatt / Monats-Zeitschrift der Staatlichen Beratungsstelle für das Baugewerbe (Jg. 1936, Bd. 31. Heft 1/2)

NEUGESTALTUNG DER INDUSTRIEBAUTEN 
von Architekt Heinrich Osthus 6. Fortsetung 
Die letzten fünfzig Jahre deutscher Industrie-Entwicklung werden für neunzig 
unter hundert Fällen durch Abb. 48 typisch dargestellt. 
Das Planbild sagt in diesem Falle: gesteigerte Fabrikationsentwicklung in der 
yeschichtlich kurzen Spanne eines halben Jahrhunderts von der Gründung bis 
heute, — der anfällige Raumbedart dieser industriell-technischen und kaufmänni- 
schen Entwicklung wird durch Häufung und gedrängteste Schachtelung auf- 
genommen. (Siehe auch Abb. 50 bis 57.) 
Das Baubild zeigt nicht planmäßige Entwicklung, sondern Behelfslösung des 
jeweils überraschend gekommenen Raumbedarfs. 
Der heutige Gesichtspunkt sieht in solchem Anlagebild das Merkmal einer in sich 
abgeschlossenen ersten Etappe industrieller Entwicklung, eine Anlage, der es an 
Durchlässigkeit für moderne Betriebsführung mangelt. 
Eindringlicher als Worte sagen die Planbilder Abb. 48 und 50 bis 57 dem ver- 
gleichend-prüfenden Blick, wo wir stehen und um was es geht. 
Wir anerkennen die Gründerleistung und sagen gerade deshalb: der heutige 
Fabrikant, in den meisten Fällen die erste und zweite Folgegeneration des 
Gründers, mißversteht den Sinn des vergangenen ersten Halbjahrhunderts deut- 
scher Industrie und seine eigene Aufgabe, wenn er den Traditionsapparat auf 
Leistung bringen will. 
Man kommt mit dem nicht mehr vorwärts, was durch die Zeit und in Erfüllung 
seiner Aufgabe abgeschrieben ist. 
Der Gründer war „Gründer“, weil er eine tatsächliche, erste Neuunternehmung 
begann. Sein Lebenswerk schuf die geschichtliche erstmalige Erfahrung: „Industrie“. 
Die heutige Industrie muß die abgeschlossene erste Etappe erfahrungsmäßig 
werten und ihre Gegenwartsstellung durch diese Erfahrung und durch plansichere 
Erkenntnis in Zukunft bestimmen. 
Die Aufgaben, das Einsatztempo, der zu erwartende Kapazitätsanspruch an das 
Werk, sind heute keinen Grad geringer als damals. 
Was für den Gründer ein erstes, unbekanntes Risiko war, wird für den heutigen 
industrieleiter zum klaren, auf Sicht entwicklungsfähigen Plane. 
Hierzu Abb. 49 und 58 bis 61, die Vergangenheit und Gegenwartsforderung am 
Beispiel aus der Praxis belegen. 
Das Buch: „Neugestaltung des Industriebaues“ führt den praktischen, bis in die 
Einzelheiten des Betriebes untersuchten Nachweis dessen, was die beiden Bilder 
vergleichsweise zeigen. 
Der Nachweis und die Untersuchungen werden mit Plan- und Tabellenbeilagen 
an praktischen Beispielen durchgeführt. 
Die Leistungstabellen (siehe auch Abb. 62 und 63) sind der Ausdruck der Lebens- 
fähigkeit eines Betriebes. 
Industrieverlagerung bedingt die grundsätzlich neue Planführung. Der Fabri- 
kationsprozeß einschließlich aller Elastizität der verschiedenartigen Entwicklungs- 
möglichkeiten muß gleichlaufende Baugestaltung werden. Andernfalls läuft auch 
die Neugründung, das Verlagerungswerk, Gefahr, am starren Bauapparate zu 
versagen. 
Der Staat kann und will nur Anreger sein. Die Durchführung und die weitest- 
gehende Verantwortung liegt heute beim Betriebsleiter. 
Für ihn sind heute entscheidend: ein Erkenntnisbild über das Wesen seines 
Betriebsprozesses, ein praktisches Wissen um die Leistungsmöglichkeit seines 
Betriebes. 
Die Aufgabe liegt so vor: vom technisch-mechanischen Aufbau der ersten Etappe 
yeht der heutige Schritt zur organischen Gestaltung eines Betriebes in die plan- 
voll geführte Zufuhr- und Bedarfswirtschaft. 
Die Aufgaben und der Verantwortungsbereich und das Feld des Erfolges sind so 
yroß wie je. Erfolg und Leistung sind das gegenseitig bedingte Wertmaß. 
Die Leistung steht und fällt aber im Maße des organischen Betriebsaufbaues.
	        
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